Heymland

Heymland Mischpoke - CD Cover
24. Februar 2022
Mischpoke
Timezone

Heimat – was ist das?

Ort oder Gefühl? Komme ich daher? Gehe ich dahin? Oder war ich da noch nie?

Diese gesellschaftlich hoch aktuellen und zugleich sehr persönlichen Fragen erkundet die Hamburger Band Mischpoke auf ihrem fünften Album „Heymland‟ mit traditionellen, neu arrangierten und selbst komponierten Liedern. Und wer das zutiefst leidenschaftliche Spiel dieser außergewöhnlichen Formation hört, der spürt überdeutlich: Mischpoke hat ihr Zuhause in der Musik gefunden. Im Miteinander der Kulturen und Genres zwischen Klezmer, Jazz, Tango, Weltmusik und Klassik. Heimat, das ist eine wild tanzende Geige, ein lässig groovendes Piano, eine sanft suchende Klarinette. Und Heimat ist bei Mischpoke vor allem das spannungsgeladene Wechselspiel fünf starker Künstlerpersönlichkeiten. Wie sie einander zuhören, sich intuitiv ergänzen oder bewusst Brüche herstellen, wie sie ganz leise die Seele berühren, um dann kurz darauf eine furiose Euphorie zu entfesseln, wie jede Stimme ganz eigen im Kollektiv zur Geltung kommt – all das ist ein äußerst anregendes Erlebnis. Konzerte von Mischpoke wirken wie eine große musikalische Aufforderung, unser aller Zusammenleben voller Freude und zugleich respektvoll zu gestalten.

„Wir spielen Klezmer, aber auch mal Stücke aus anderen Musikkulturen, zum Beispiel von Sinti und Roma oder aus dem arabischen Raum. Wir fusionieren diese Stile. So wie wir es uns auch für eine gemeinsame Kultur wünschen‟, sagt Magdalena Abrams, Sängerin und Klarinettistin bei Mischpoke. Dieser weltoffene Spirit durchzieht das gesamte Album. „Heymland‟ beginnt mit „der heyser bulgar‟, einem bekannten Klezmerstück, das in den 1920er-Jahren von verschiedenen Komponisten entwickelt wurde. Mischpoke nimmt die Melodie dieses furiosen Volkstanzes und lädt sie mit eigenen detailreichen Arrangements auf. Die Band überführt die Vergangenheit ins Heute und entfaltet so mit ihrer Musik auch eine aufklärerische Kraft. Allerdings ohne Zeigefinger, sondern sinnlich, gewitzt und mitreißend. Wie sich eine Geschichte beherzt fortschreiben lässt, ist in der Nummer „dona reloaded‟ besonders eindrücklich zu hören. Das berühmte „Dona Dona‟ von 1940, das in Form einer Parabel vom Holocaust erzählt, wird bei Mischpoke durchzogen von gerappten Passagen, die positive Wege aus heutiger Ungerechtigkeit aufzeigen. „Wir versuchen, dem Rassismus dieser Tage mit Musik ein Stück weit entgegenzuwirken‟, erklärt Magdalena Abrams.

Auf der Suche nach Aspekten von Heimat hat Mischpoke alte Lieder gefunden, die um die Themen Migration, Herkunft und Erinnerung kreisen. Die beschwingte Nummer „dzhankoye‟ erzählt von jüdischen Bauern auf der Krim, die sich stolz gegen Vorurteile behaupten. „mayn shtetele belz‟ wiederum führt zurück in das einfache Glück der Kindheit. Die Tavalimba lockt wie ein sachte nachhallendes Glockenspiel in diese vergangene Welt. Solche neu interpretierten Traditionsstücke erklingen auf „Heymland‟ sehr selbstverständlich neben aktuellen Eigenkompositionen, die das Album besonders prägen. Zu „baba şazi‟ etwa wurde Kontrabassistin Maria Rothfuchs von einer Freundin inspiriert, deren Vater einst aus der Türkei nach Deutschland gekommen war. In dem Stück lässt sie ihren Kontrabass untergründig brodeln, bis die Musik in orientalisch anmutenden Läufen ihre Vielfalt freisetzt. Bei „krumbadi‟ gibt Gitarrist Frank Naruga einen akzentuierten Rhythmus vor, zu dem die anderen Instrumente ihre Wege dann wunderbar eigensinnig erforschen. „Wir haben uns intensiv gefragt: Was interessiert mich an der Musik? Welche Klangfarbe möchte ich einbringen?‟, sagt Maria Rothfuchs über die Kompositionen der einzelnen Bandmitglieder. Und diese individuellen Impulse bereichern sich aufs Schönste gegenseitig, bis dieser ganz spezielle Mischpoke-Sound entsteht: Eine kollektive Energie, die Herz und Hüfte in Schwingung versetzt.

Ob kleine Bühnen oder großer Konzertsaal, ob Hamburger Weinbistro oder Leipziger Gewandhaus: Mit ihrem passionierten und hoch virtuosen Spiel packt die Band ihr Publikum emotional jedes Mal aufs Neue. Von zarter Melancholie bis hin zu absoluter Hochstimmung. „Begeisterung, Freude, Liebe und Können‟ – mit diesen Worten fasst eine Zuschauerin ihren Konzertabend beglückt zusammen. Dass die Performance von Mischpoke so nachhaltig beeindruckt, rührt daher, dass da fünf lebenserfahrene Menschen auf der Bühne agieren. Gefeiert wird nicht der pure Wohlklang, sondern die pralle Existenz von der Schönheit bis zum Scheitern. „Die Mischpoke braucht immer auch Ecken und Kanten, etwas Raues und Tiefes‟, erklärt Violinistin Cornelia Gottesleben, neben Frank Naruga eines der Gründungsmitglieder von Mischpoke. Im Jahr 2000 hatte Sängerin Gudrun Tiemeier die Formation als Projekt für Salon- und Theatermusik ins Leben gerufen. Als die engagierte Initiatorin 2010 überraschend verstarb, musste sich die Band zunächst fassen und neu aufstellen. Ein Prozess, der die Gemeinschaft in ihrem künstlerischen Schaffen noch stärker zusammenschweißte.

Das erprobte Miteinander führte Mischpoke auch durch die Corona-Zeit. Bisher hatte die Band neue Stücke zunächst live ausprobiert und von Konzert zu Konzert richtig rundgespielt, bevor es zur Produktion ins Studio ging. Die Pandemie jedoch drehte diesen Ablauf um. Mit einer Förderung der Initiative Musik erstellten die fünf ein komplett neues Programm, dass sie dann auf die Bühne und schließlich auf ihr neues Album brachten. Aufgenommen wurde „Heymland‟ in den Hamburger Frogstudios. Die Produktion übernahm Matthias Schwarz-Tkotz von Milchkettenmusik, mit dem die Band bereits seit vielen Jahren vertrauensvoll zusammenarbeitet. Neu hinzugekommen ist Anfang 2021 der Jazzpianist Christoph Spangenberg. Allein seine Bandbreite von Klassik über Electro bis hin zu Rock zeigt, wie offen Mischpoke für ganz unterschiedliche Einflüsse ist. Allen Musikerinnen und Musikern gemein ist ihr höchst professioneller Background: Alle studierten ihre Instrumente eingängig an Hochschulen und Konservatorien im In- und Ausland. Und alle haben langjährige Erfahrungen in Projekten von Klassik bis Pop, von Theater bis Showbühne. Dieses tiefe Gespür für Musik klingt bei Mischpoke stets besonders facettenreich an.

Sich eingehend mit verschiedenen Kulturen und deren Musik zu befassen, mündet zudem in ein ausgeprägtes pädagogisches und soziales Engagement. Für die Arbeit mit ihrem Verein „Musiker ohne Grenzen“, der benachteiligten Kindern einen Zugang zu musikalischer Bildung ermöglicht, erhielt Magdalena Abrams im Jahr 2016 den Bundesverdienstorden. Mischpoke selbst gibt immer wieder Kinderkonzerte und ist auch in Schulen zu Gast. Der Titelsong „Heymland‟ kann beispielsweise als Einladung verstanden werden, sich mit dem eigenen Heimatverständnis auseinanderzusetzen: Der eindringliche Tango erzählt von umherziehenden Menschen. Teils auf Deutsch, teils auf Jiddisch. „Heimat ist Freiheit, einfach zu bleiben / da wo ich sein kann, wer ich sein will‟, singt Magdalena Abrams mit hoher Intensität. Ein typischer Mischpoke-Song: überraschend, sehnsuchtsvoll und bewegend.

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